HILFSPROJEKT IN ECUADOR
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Hilfsprojekt für Familien „SANANDO RAICES“ Quito,Ecuador
Teil 1
Dies ist das Cenit. Eine Organisation im Süden von Quito die sich darum kümmert, Kindern die auf der Straße arbeiten, einen geschützten Ort zu bieten an dem sie sein können während ihre Eltern auf den Märkten arbeiten.
Hier können die Kinder zwischen morgens um 08:00 und Nachmittags ca.18:00 hinkommen und ihnen wird geholfen Aufgaben zu machen. Sie bekommen hier eine warme Mahlzeit, und bekommen Nachhilfeunterricht. Viele der Kinder gehen in umliegende, staatliche Schulen, haben jedoch Schwierigkeiten in ihrer Umgebung etwas für die Schule zu tun da sie, wenn sie nicht ins Cenit kommen, entweder mit den Eltern auf den Märkten sind, wo sie selber arbeiten müssen oder aber in einer nicht kinderfreundlichen Umgebung sind, wo Schulaufgaben nicht in Ruhe gemacht werden können.
Quito ist aufgrund der zunehmenden Kriminalität eine gefährliche Stadt, der Süden ist besonders gefährlich und die Märkte erst recht.
Hier halten sich viele Obdachlose auf und es wird viel gestohlen. Die Hygiene ist ein weiterer Grund weshalb ein Markt kein Ort für ein Kind ist. Auch werden die Kinder ganz stark ausgegrenzt oder schlecht behandelt da die meisten indigene Abstammung haben und ihnen anzusehen ist dass sie aus armen Familien kommen. Dies sind bis heute Gründe in Ecuador um diskriminiert zu werden. Hungern oder nur eine warme Mahlzeit am Tag haben ist hier gewöhnlich.
Der Alkoholismus und ganz oft Drogenkonsum ,ist allgegenwärtig in den Familien und damit gehört das Thema Gewalt auch zum Alltag.
Oft wenn die Kinder nicht von ihren Eltern auf den Markt mitgenommen werden, bleiben sie Zuhause und schauen zu den kleineren Geschwistern. Dies führt oft dazu dass sie gar nicht oder nicht rechtzeitig die Schule besuchen. Die meisten dieser Kinder tragen somit sehr viel Verantwortung und haben wenig unbeschwerte Kindheitsstunden.
Diese versucht ihnen Cenit zu bieten. Die Devise ist weniger Stunden auf dem Markt, mehr im geschützten Rahmen.
Dies ist jedoch nicht in jedem Fall nur gut!
Kinderarbeit ist in Ecuador vom Gesetz her verboten. Die Familien bekommen jedoch keine andere Alternative geboten, so dass ihnen um zu überleben, oft nichts übrig bleibt als die Kinder zum arbeiten schicken. Dies ist dem Personal im Cenit bewusst und so haben sie mitten in den Märkten „Chiriyacu“ und „San Roque“ Räume geschaffen, in die die Kinder kommen können. Dies ist oft das einzige was Cenit bieten kann, da viele Mütter ihren Kindern auch nicht erlauben wollen den Markt zu verlassen. Auch wenn der Ort voller Gefahren ist, ist es das was sie kennen und bedeutet für sie Sicherheit.
Auf Bild 3 ist der Raum im „Mercado“ zu sehen.
Hier gibt es seit einem Monat keinen Strom mehr da die Kabel gestohlen wurden. Nun spielen, zeichnen und machen die Kinder im Dunkeln Hausaufgaben.
Cenit wird zu einem großen Teil von „Vianiños“ finanziert, dies ist ein Verein den einige Ex- Voluntäre gebildet haben. Sie sammeln Gelder in Deutschland und helfen so die Einrichtungen, die Löhne und das Essen für die Kinder zu bezahlen.
Es gibt immer wieder Voluntäre die im Cenit arbeiten. Mir hat man erzählt dass viele von ihnen sich nach ihrem Einsatz, darum bemühen weiterhin etwas für die Kinder zu tun. An Weihnachten zum Beispiel ist es immer derselbe junge Mann der das Geld in England sammelt und Geld für ein kleines Geschenk in Form von Süßigkeiten für die Kinder schickt.
Außer den Voluntären gibt es einige Lehrer, eine Sozialarbeiterin, eine Schulpsychologin und die Direktorin Ruth die seit 31 Jahren dort arbeitet und jedes Detail kennt.
Auch bietet Cenit Nähkurse für die Mamas der Kinder an, in der Hoffnung sie erlangen eine weitere Fähigkeit mit der sie sich zusätzliches Geld dazuverdienen können.
Hilfsprojekt für Familien „SANANDO RAICES“ Quito,Ecuador
Teil 2
Je mehr man in Kontakt mit den Familien kommt desto tiefer sind die Abgründe zu sehen, mit denen die Familien hier zu kämpfen haben.
Es sind immer wieder dieselben Teufelskreise zu beobachten: extreme Armut, Alkoholismus, Gewalt und Missbrauch, keine Bildung, Perspektivenlosigkeit, körperliche und psychische Krankheiten, Kriminalität, etc…
Und doch ist es schön zu sehen wie die Kinder ausgelassen lachen und gemeinsam spielen können, wenn es an der Zeit ist.
Die stärksten Menschen erwachsen aus den schwierigsten Situationen, somit ist kein Platz für Mitleid. Einfach tun was man tun muss ist angesagt.
Auf dem Bild ist Wilma, die Sozialarbeiterin zu sehen die gerade mit Carmen spricht. Carmen hat einen Stand auf dem Markt und schaut zu ihren 5 Enkelkindern für die sie alleine aufkommen muss. Ihre Tochter, die Mutter der 5 Kinder war Alkoholikerin und hatte Aids. Sie ist vor ca.8 Monaten gestorben.
An diesem Morgen an dem Wilma und ich durch den Markt laufen um die Mütter über die Weihnachtsfeier des Cenit zu informieren, treffen wir Carmen.
Sie freut sich sehr Wilma zu sehen und fängt sofort an zu weinen. Sie fängt gleich an zu erzählen, dass ihr 8 jähriger Enkelsohn, 2 Tage zuvor, von einem Hund ins Gesicht gebissen worden sei. Man habe ihn danach nicht zum Arzt bringen können und somit habe sich die Wunde infiziert und sei am eitern. Ob der Hund an Tollwut gelitten habe wisse man nicht.
Der Junge liege seither Zuhause und habe Schmerzen. Wilma versucht sofort die Ärztin zu erreichen die einmal pro Woche zum Cenit kommt, um kleine Behandlungen durchzuführen, eine Tablette zu verschreiben oder sonst zu tun was im Rahmen ihrer Möglichkeiten ist. Ob der Junge die nötige Behandlung schlussendlich bekommen hat weiss ich nicht. Dafür hätte ich länger vor Ort sein müssen.
Als wir dann weiterlaufen erzählt mir Wilma, sie habe der Familie schon oft notfallmäßig geholfen.
Eines der Enkelkinder habe starke Schmerzen im Mund gehabt und als die Zahnärztin geschaut habe, habe sie gesehen, dass sein Zahnfleisch voller Eiter sei. Die Zahnhygiene hat unter solchen Lebensbedingungen keine Priorität. Die Behandlung habe die Zahnärztin nicht machen können, aufgrund fehlender Ressourcen. Wilma habe darauf ihren eigenen Freundeskreis mobilisiert und schlussendlich eine Behandlung für den jungen organisieren können, von der sie bis heute nicht weiß ob die Zahnklinik diese gratis gemacht habe oder ein Freund von ihr diese im Vorfeld bezahlt habe.
Auf jeden Fall kam danach raus, dass die Schwester des Jungen dasselbe Problem am Zahnfleisch hat.
Doña Carmen ist mittlerweile froh, dass ihr 14 jähriger Enkelsohn nun nicht mehr in die Schule geht und auch arbeitet.
Dies hilft ihnen täglich etwas zu essen auf dem Tisch zu haben.
Hilfsprojekt für Familien „SANANDO RAICES“ Quito,Ecuador
Teil 3
Auf den Bildern sind Susana und Ana zu sehen. Mutter und Tochter. Susana hat eine geistige Behinderung, ein Phänomen welches mir auffällig oft begegnet ist auf dem Markt.
Susana geht in den Nähkurs den das „Cenit“ anbietet und präsentiert hier stolz ein T-Shirt welches sie selber genäht hat. Ihre Mutter erzählt uns an dem Morgen mit Tränen in den Augen, sie sei auch sehr stolz auf ihre Tochter weil trotz ihrer Behinderung gelernt habe zu nähen.
Leider bietet „Cenit“ keine Ausbildung an die einen gültigen Abschluss zur Folge hätte. In der Nähe gäbe es jedoch die Institution „Fundación sol de primavera“ die kostenlose Ausbildungen für Jugendliche und junge Erwachsene anbietet.
Man kann sich dort als Näherin ausbilden lassen, als Bäcker, als ….. Etc…
Die Sozialarbeiterin vom Cenit Pilar, legt der Mutter an jenem Morgen ans Herz die Tochter dort anzumelden, so dass sie einen ordentlichen Abschluss machen kann.
Die Mutter zeigt grosses Interesse und wiederholt abermals wie sehr sie sich all die Jahre darum bemüht habe, ihrer Tochter das Beste zu bieten was sie ihr habe bieten können.
Ihr Mann, Susanas Vater, arbeite als Lastträger (wahrscheinlich auch auf dem Markt).
Sie äussert ihre Dankbarkeit dem Cenit gegenüber für die Möglichkeit dass ihre Tochter nähen lernt.
Hilfsprojekt für Familien „SANANDO RAICES“ Quito,Ecuador
Teil 4
Wilma lädt hier das Mädchen ein welches auf dem Bild neben mir zu sehen ist. Sie ist 19 Jahre alt. Aufgrund ihrer Beeinträchtigung sieht sie aus wie 12. Wilma erzählt hier sie sei seit Monaten nicht mehr in dem Raum des „Cenit“ gekommen der mitten im Markt liegt.
Als sie sie fragt weshalb sie nicht kommen, sagt sie nichts. Wilma erzählt mir später, sie schäme sich sehr da sie nicht in die Schule gehe und auch sonst anders ist.
Hier versucht Wilma sie zu überzeugen wenigstens an die Weihnachtsfeier zu kommen und bittet dafür auch ihre Mutter um Hilfe.
An diesem Nachmittag kam sie dann tatsächlich und hat einen schönen Weihnachtsbaum gemalt.
Hilfsprojekt für Familien „SANANDO RAICES“ Quito,Ecuador
Teil 5
Die Zeit in der ich im Süden von Quito auf den Märkten verbracht habe, haben mir sehr vieles aufgezeigt. Nichts was mir nicht schon immer klar war, jedoch konnte ich den Problemen die im Land herrschen viel tiefer in die Augen schauen. Ich habe Zusammenhänge erkannt, bin tief in die kollektive Geschichte eingetaucht und konnte so immer wieder Verbindungen zum persönlichen Schicksal der Menschen herstellen.
Ich selber mag mich als Ecuadorianerin nicht daran erinnern, dass ich je an Hunger gelitten hätte. Es sei ein paarmal so gewesen als ich ein kleines Kind gewesen war, so erzählte mir meine Mutter.
Einen täglichen Kampf ums nackte Überleben musste ich dank ihr nicht kämpfen.
Meine Onkeln jedoch, mit denen ich aufgewachsen bin, waren auch Kinder die auf der Straße arbeiten mussten. Vielleicht war und ist mein Herz deswegen so offen für all diese Geschichten. Zumindest hat es sich auf meiner Reise in den Dschungel so sehr bestätigt wie richtig und treffend ich den Namen „healing roots“ vor Jahren für meine Homepage gewählt habe.
Ich bin der Institution „Cenit“ in Quito sehr dankbar für die Arbeit. Der Direktorin Ruth die mir die Türen geöffnet hat und mir geduldig alle Fragen beantwortet hat die ich hatte und mir die Führung gemacht hat.
Der Sozialarbeiterin Wilma und Pilar dafür, dass sie mich mit an „den Kern“ genommen haben, da wo es keinen näheren Kontakt mehr gibt zu den Familien. Ich bin jeder Frau vom Markt dankbar die mir Fragen beantwortet hat, sich fotografieren oder filmen liess und die die Offenheit hatte, ihre Probleme zu teilen und beim Namen zu nennen.
Dank ihnen konnte ich mir ein umfassendes Bild über die Situation machen und immer wieder Antworten finden auf die Frage die mich stets begleitet hat: „wie gelangt man am besten zur Wurzel der Probleme? Wo gilt es anzusetzen um die Ursache zu beseitigen anstatt „nur“ Symptome zu bekämpfen?“
Ich gestehe, dass ich diese Frage nicht zu meiner Zufriedenheit beantworten konnte, wobei ich mich auch immer wieder Frage ob dies überhaupt je möglich sein wird. Doch bin ich glücklicherweise gutgläubig genug um es zumindest zu versuchen. Somit habe ich als allererstes dem Personal im „Cenit“, einen kostenlosen Nervensystemkurs per Zoom gegeben. Dieser hat im März 2024 gestartet.
Je nachdem wie sich dies entwickelt, ist als zweites geplant dasselbe mit den Eltern zu tun. Zumindest mit denen die regelmäßig in der Institution sind und von dort aus Zugang zu einem Computer hätten.
Es mag auf den ersten Blick etwas unnötig klingen, Menschen die ums Überleben kämpfen, psychologische Hilfe anzubieten anstatt Essen.
Doch habe ich mit jedem Gespräch welches ich mithören und mitgestalten konnte, gemerkt dass schon ein offenes Ohr, so viel Linderung und Trost schenken kann, dass ich bald sah, das Nervensystemregulation essenziell ist um in ecuadorianischen Familien positive Veränderungen herbeizuführen.